Frankfurt am Main. Immer wieder erfährt die IGFM von Blasphemie-Fällen, die oft keine wirklichen, sondern behauptete Fälle von „Gotteslästerung“ sind. Die Wurzel des Übels liegt in den umstrittenen Paragrafen des pakistanischen Strafrechts.

Walter Flick, unser langjähriger Referent für Religionsfreiheit, hat dazu einige exemplarische Fälle beschrieben. Er schreibt:

Pakistanische Quellen berichten über einen starken Anstieg der Blasphemie-Anklagen in 2020, bei denen es bei Beleidigung des Islam und seines Propheten bis hin zur Todesstrafe gehen kann (§295C des Strafrechts). 199 Personen wurden 2020 – allein 40 im August – angeklagt, darunter 70% schiitische Muslime und 20% Ahmadiyya-Muslime. Etwa 35 Angeklagte sind zurzeit wegen Blasphemie zum Tode verurteilt.

Das Europäische Parlament hob in einer Resolution von April 2021 besonders den Fall des 2014 zum Tode verurteilten christlichen Ehepaars Shagufta Kausar Shafquat Emmanuel hervor. Die IGFM erinnert auch an die aktuell angeklagten Christen Salamat Mansha und Harun Ayub Masih (Gefangene des Monats März 2021) und Stephen Mugal Masih (Gefangener des Monats Juni 2021).

Der Fall der 2010 zum Tode verurteilten, 2018 freigesprochenen Christin Asia Bibi hat weltweite Aufmerksamkeit erregt. Die anderen wegen angeblicher Blasphemie zum Tode Verurteilte sind eher dem Vergessen anheimgefallen.

Die EU-Resolution von April 2021 befasst sich relativ ausführlich mit der Problematik der Blasphemieanklagen und fordert unter anderem die Abschaffung der berüchtigten §§ 295b/c, der Todesstrafe in Pakistan überhaupt und die Strafverfolgung bei falschen Anklagen.

Das Ehepaar Shafaqat Emmanuel und Shagufta Kausar sitzt seit 2014 in der Todeszelle. Es soll SMS verschickt haben, die den Propheten Mohammed und den Koran verunglimpfen. Dabei sind beide nahezu Analphabeten. Der Ehemann wies die Vorwürfe zurück. Das betreffende Mobiltelefon war von Ehefrau Shagufta als gestohlen gemeldet worden. Doch als die Behörden drohten, seine Ehefrau nackt durch die Straßen zu schicken, „gestand” er. Der Verurteilte ist an den Rollstuhl gefesselt. Das Paar hat vier minderjährige Kinder. Die EU-Resolution sieht die Beweise für die Verurteilung als “höchst fehlerhaft” an. Es mahnt die mehrfache Verschiebung der Berufungsverhandlung, zuletzt im Februar 2021, an.

Sajjad Masih. Am 10.März 2021 hat der High Court Lahore eine Petition der Staatsanwaltschaft zum Supreme Court mit dem Antrag zugelassen, die lebenslange Freiheitsstrafe von Sajjad Masih Gill in eine Todesstrafe umzuwandeln. Der jetzt 35jährige Sieben-Tage-Adventist Gill war 2013 ebenfalls wegen angeblich den Propheten Mohammed beleidigenden SMS-Nachrichen zu einer lebenslänglichen Strafe verurteilt worden. Festgenommen wurde er bereits 2011.

Anwar Kenneth. Am 18. Juli 2002 wurde der damals 45jährige Christ Anwar Kenneth wegen Blasphemie zum Tode durch Erhängen verurteilt. Ein Gericht in Lahore erklärte, er habe “die Gefühle von Muslimen, Christen und Juden verletzt”. Kenneth litt seit geraumer Zeit unter Anzeichen geistiger Verwirrung.

Junaid Hafeez. Die EU-Resolution erwähnt auch das im Dezember 2019 wegen Blasphemie ergangene Todesurteil gegen den Universitätsdozenten Junaid Hafeez, der in sozialen Medien abfällige Bemerkungen über Mohammed verbreitet haben soll. Der liberal eingestellte Moslem war bereits im März 2013 festgenommen worden. Sein erster Rechtsanwalt und Verteidiger Rashid Rehman war 2014 erschossen worden. Junaid Hafeez war jahrelang in einer Isolierzelle und wurde wiederholt von Mitgefangenen angegriffen.

Blasphemie-Lynchjustiz. Bisher wurde kein wegen Blasphemie Verurteilter vom Staat hingerichtet. Allerdings gehen verschiedene Quellen von über 75 (seit 1987) außergerichtlich Getöteten aus. Die zitierte EU-Resolution erwähnt den diesbezüglichen Lynchmord an dem muslimischen Studenten Mashal Khan – angeblich ein Ahmadiyya-Moslem – im April 2017.

Sawan Masih, IGFM/idea-Gefangener September 2019 ist frei! Dass der Einsatz für Gefangene in Todeszellen Erfolg haben kann, zeigt neben dem langwierigen Fall von Asia Bibi das Schicksal von Sawan Masih. Er befand sich sieben Jahre im Todestrakt des Gefängnisses von Faisalabad. Der heute 40Jährige lebte in der sogenannten Joseph-Kolonie in Lahore. Nachdem ein muslimischer Nachbar ihn 2013 der Gotteslästerung beschuldigt hatte, kam es zu schweren Ausschreitungen. Mehr als 3.000 aufgebrachte Muslime steckten über 100 Häuser von Christen an. Sawan Masih führt die Anschuldigungen auf einen Grundstücksstreit zurück. Das Oberste Gericht in Lahore brachte in 2020 endlich den Mut auf, ihn nach der langen Haftzeit freizusprechen.

Vergesst die anderen Opfer nicht! Die IGFM appellierte im Herbst 2018 nach der Freilassung von Asia Bibi, viele weitere Opfer islamistischer Gewalt in Pakistan nicht zu vergessen und sich für sie einzusetzen. Bei der IGFM-Jahresversammlung März 2020 sagte unsere pakistanische Kooperationspartnerin Rechtsanwältin Aneeqa Maria Anthony (The Voice Society): “Ich sehe mich jeden Tag damit konfrontiert, dass Angehörige religiöser Minderheiten in Pakistan verfolgt, verletzt, getötet, sabotiert, verkauft und misshandelt werden, und ich versuche zu helfen.”

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